25. Januar 2008, Mediencampus Villa Ida, Leipzig

Heimat und Fremde ist eine Tagung rund um (Leit-)Bilder zum Eigenen und Fremden in Film und Fernsehen und wird veranstaltet vom Zentrum für Wissenschaft & Forschung | Medien in Zusammenarbeit mit dem Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig sowie der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig.

Heimat ist nicht nur ein Begriff – geschichtlich belastet, unzählige Male missbraucht und entstellt. Heimat ist gleichzeitig auch ein GefĂĽhl, das in der heutigen mobilen, flexiblen Welt wieder an Bedeutung gewinnt. Die Tagung fragt nach der Rolle des Films und des Fernsehens bei der Vermittlung des Sujets „Heimat und Fremde“ und der damit entstehenden Selbst-, Fremd- und Leitbilder. Integrationsbestrebungen gegenĂĽber dem Anderen und Fremden finden hier ebenso Eingang wie verstärkte BemĂĽhungen um eine Identitätsstiftung eines „Wir-GefĂĽhls“.

09.00-09.30
BegrĂĽĂźung und EinfĂĽhrung
Prof. Dr. Rüdiger Steinmetz, Universität Leipzig und
Zentrum fĂĽr Wissenschaft und Forschung | Medien Leipzig

1A | Heimat – anders gesehen. Televisuelle Ansichten in Ost und West

Moderation: Claudia Böttcher, ZWF Medien

09.30-11.00
Fremdes Deutschland:
Heimat und Fremde aus der Sicht von Migranten.
Hans-Dieter Grabes Dokumentarfilme der 1980er Jahre
Christian Hißnauer, Georg August-Universität Göttingen

Fassbinders Heimat
Dr. Jörn Ahrens, Humboldt-Universität zu Berlin

„Und wenn der Frieden siegen soll, müssen wir sie hassen…“
Figuren der Grenze im Fernsehen der DDR
Dr. Henning Wrage, Humboldt-Universität zu Berlin

1B | Heimat – anders gesehen. Televisuelle Ansichten in Ost und West

Moderation: Dr. Susanne Vollberg, ZWF Medien

11.30-13.00
Heimatpost via Bildschirm.
Die Reportagereihe „Ansichtskarten“ im DDR-Fernsehen der 1980er Jahre
Judith Kretzschmar, Universität Leipzig

Denken an Chile.
Die mediale Ankunft chilenischer Exilanten im Film und Fernsehen der DDR
Corinna Schier, ZWF Medien

In der Fremde bedroht oder zu Besuch bei Freunden?
Zur Darstellung fremder Länder und ihrer Menschen in zwei Serien des DDR-Fernsehens
Katja Köbbert, Kiel
Sascha Trültzsch, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

2 | Heimat – Konstruktion, Destruktion. Veränderungen des Eigenen und des Fremden

Moderation: Markus Schubert, ZWF Medien

14.00-16.00
(Un-)Heimliche Orte. Architekturformen, Landschaftsbilder und Grenzpassagen in RAF-Filmen der Gegenwart
Svea Bräunert, Humboldt-Universität zu Berlin

Dystopische Inszenierungen von Fremde und Heimatsuche im Horrorfilm
Christian Hoffstadt, Universität Karlsruhe (TH)

Heimat nach 9/11
Dr. Birgit Maria Leitner, Bauhaus-Universität Weimar

Zur televisuellen Konstruktion von Eigenem und Fremden am Beispiel des 11. September 2001
Dr. Hilde Hoffmann, Ruhr-Universität Bochum

3 | Ich – wir – sie. Identitätsbildung in Heimat und Fremde

Moderation: Dr. Jasper A. Friedrich, ZWF Medien

16.30-18.30
Auswandern. Heimat, Fremde, Fernsehen
Thomas Waitz, Universität zu Köln

„Cultural Diversity Mainstreaming“ in den fiktionalen Ethno-Soaps „Türkisch für Anfänger“ und „Alle lieben Jimmy“
Jana Domaratius, Universität Leipzig

Das „Wir-Gefühl“ bei der Aneignung crossmedialer Inszenierungen
Dr. Caroline Roth, Institut fĂĽr Medien- und Kommunikationswissenschaft Klagenfurt

„Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer.“
Der Beitrag cineastischer Ostalgie an der Herausbildung einer Heimat Ost
Dr. Peter F. N. Hörz, Fachhochschule Wiesbaden
Marcus Richter, Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Abendveranstaltung: Heimat-Medien – Medien-Heimat

19.30-21.00
Podiumsdiskussion mit Gästen
Moderation: Prof. Dr. Hans-Jörg Stiehler, ZWF Medien
Filme von RĂĽdiger Steinmetz und Markus Schubert

Am 25. Januar 2008 fand die Tagung „Heimat und Fremde. Selbst-, Fremd- und Leitbilder in Film und Fernsehen“ auf dem Mediencampus der Villa Ida in Leipzig statt, die von den Mitgliedern des Zentrums für Wissenschaft & Forschung Medien e. V. veranstaltet und organisiert wurde. Das im Sommer 2007 gegründete Zentrum betreibt wissenschaftlich fundierte und praxisorientierte Forschung. In enger Zusammenarbeit mit Medienwissenschaftlern und Historikern sowie Forschungseinrichtungen und Hochschulen in Leipzig und Halle werden praxisrelevante und programmhistorische Forschungsfragen für Landesmedienanstalten, Rundfunk­anstalten, Verlage und Wirtschaftsunternehmen bearbeitet.

Gegenstand der Tagung war der Diskurs über die komplexe Problematik des Eigenen und Fremden. Dazu gehörten der Prozess der materiellen und geistig-kulturellen Aneignung von Werken und Ereignissen, Persönlichkeiten und Erfahrungen, Siegen und Niederlagen in Gegenwart und Geschichte. Der Schwerpunkt der Diskussion lag dabei vor allem auf Film und Fernsehen, auf ihren unterschiedlichen Gewichtungen und Abhängigkeiten vom jeweiligen System, ihren Rollen als Medien und zugleich als Faktoren der Vermittlung von Leitbildern einer Gesellschaft bzw. ihrer herrschenden oder vorherrschenden Ideologie. Insbesondere wurde danach gefragt, welche Leitbilder in Film und Fernsehen von der „Heimat“ und der „Fremde“ bzw. den „Fremden“ vermittelt werden. Im Zentrum des Interesses stand sowohl die Prägung von Heimat-Gefühlen als auch die Darstellung von Fremden in Film und Fernsehen. Bewusst schlug die Tagung dabei eine Brücke von den 1980er Jahren in die Gegenwart und richtete ihren Blick auf beide deutsche Staaten, auf Ost und West.

„Kommunikation teilt die Welt nicht mit, sondern ein!“ (Niklas Luhmann)

Das erste Panel, moderiert von Claudia Böttcher und Dr. Susanne Vollberg vom ZWF | Medien, fragte nach televisuellen Ansichten in Ost und West und näherte sich dem Sujet „Heimat und Fremde“ aus medienhistorischer Perspektive. Im Blickpunkt standen dabei zwei differente Sichtweisen zu Heimat und Fremde, zu Freund- und Feindbildern in unterschiedlichen filmischen Genres, die sich einerseits aus dem kollektiven Erfahrungsraum Ost- und Westdeutschlands entwickelt haben und andererseits aus den historisch-politischen Umständen der Teilung beider deutscher Staaten entstanden sind.

Christian Hißnauer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Journalistik des Zentrum für interdisziplinäre Medienwissenschaft in Göttingen, lenkte den Blick zunächst auf die Bundesrepublik Deutschland und gab einen Einblick in die beispiellose fernsehdokumentarische Arbeit Hans-Dieter Grabes, der zu den prominentesten Fernsehdokumentaristen Deutschlands zählt und als Autor und Regisseur über 60 gesellschaftskritische und zeitgeschichtliche Dokumentationen realisierte. Anhand ausgewählter Filme Grabes aus den 1980er Jahren stellte Hißnauer vor allem den Stellenwert von „Heimat und Fremde“ aus der Perspektive von Migranten heraus und fragte, welches Bild Grabe damit von der Bundesrepublik konstruiert. Jemand wie ihn, so Hißnauer, sucht man heute vergebens. Grabes Filme, ruhig und präzise ohne Effekthascherei erzählt, sind glaubwürdig und wirken somit zeitlos. Sie besitzen damit eine Eigenschaft, die den meisten fernsehdokumentarischen Arbeiten jüngerer Generationen abhanden gekommen zu sein scheint.

Einer, der ähnlich wie Grabe heute seinesgleichen sucht, ist Rainer Werner Fassbinder, der als prägender Regisseur des Neuen Deutschen Films in seinem Werk immer wieder gesellschafts- und politikkritische Fragen – vor allem in Bezug auf die deutsche Vergangenheit – in den Mittelpunkt rückte. Speziell in seinen letzten Filmen verknüpfte er derartige Fragestellungen mit Fragen an die Heimat und entwarf damit eine Art „Sittengemälde“ der deutschen Gesellschaft. Fassbinders Lesart von „Heimat“ wurde dabei eindringlich von Dr. Jörn Ahrens, Privatdozent am Kulturwissenschaftlichen Seminar der Humboldt-Universität zu Berlin, erörtert. Anhand Fassbinders „Deutschland Trilogie“, zu der die Filme Die Ehe der Maria Braun, Lola und Die Sehnsucht der Veronika Voss zählen, zeigte Ahrens, dass „die Symptomatik des Fassbinder’schen Werks hier darin liegt, den Begriff der Heimat nicht etwa, wie bis dahin üblich, ganz fallen zu lassen, sondern analytisch neu zu besetzen“. Klar unterstrich Ahrens, dass der dramaturgische Ansatz Fassbinders immer auch mit seiner spezifischen filmischen Ästhetik verbunden ist, die „die Bilder von Heimat zwar transportiert, zugleich aber immer schon mit deren Antithese unterlegt“.

Das Pendant zum Sujet „Heimat und Fremde“ im bundesdeutschen Film und Fernsehen der 1980er bildeten letztlich vier anschließende Vorträge, die sich explizit auf Leit-, Freund- und Feindbilder in Sendungen des DDR-Fernsehens stützten und dabei einerseits die Intensität ihrer Verwendung in allen Lebensbereichen und andererseits das unerschütterliche Vertrauen der DDR-Führung in die Tragfähigkeit und das Wirkungspotential ihrer sozialistischen Leit-, Freund- und Feindbilder als ein Spezifikum der DDR herausstellten. Katja Köbbert und Sascha Trültsch (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) untersuchten diesbezüglich die Darstellung fremder Länder in zwei spezifischen Serien des DDR-Fernsehens (Zur See und Treffpunkt Flughafen).

Corinna Schier (Universität Leipzig) interessierte in ihrem Vortrag, welches Bild von Fremden respektive chilenischen Exilanten in Film und Fernsehen der DDR generiert wurde. Schier stellte anhand von Filmen wie Blonder Tango oder Isabel auf der Treppe heraus, dass das Fremde oft ein dramaturgisches Mittel war, um im DDR-Fernsehen den Freund und Bruder (der der Fremde war) interessant darstellen zu können. „Anderes, unerwünschtes Fremdes“, so Schier, „wurde bewusst, aber durchaus auch unbewusst ausgeblendet“. Via Bildschirm sollte den DDR-Bürgern zudem eine Art „Heimatgefühl“ transportiert werden, und das „zu einer Zeit, in der immer mehr Menschen ihrer Heimat den Rücken kehrten“, so Judith Kretzschmar (Universität Leipzig) in ihrem Vortrag über die Reportagereihe Ansichtskarte. Diese trug im Zeitraum von 1980 bis 1991 der vermehrten Hinwendung zur regionalen Kultur, der Betonung des Heimatgefühls und den Veränderungen der DDR-Historiographie Rechnung und reproduzierte über die Jahre ein fast flächendeckendes Abbild der DDR. Die Spannung zwischen dem Eigenen und dem Fremden in der DDR, die dem Selbstverständnis des Sozialismus in Abgrenzung zum Imperialismus bzw. Kapitalismus und in Abgrenzung zum historischen Kontext entsprach, spielte vor allem im Vortrag von Dr. Henning Wrage, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Humboldt-Universität Berlin, eine tragende Rolle. Wrage zeigte eindringlich am Beispiel des heute äußerst befremdlichen „Schnitzler’schen Lehrfilms“ für Kinder Die Grenze aus dem Jahr 1966, dass in der DDR die Definition des Eigenen immer auch und gerade im Medium Fernsehen mit der Etablierung eines komplementären Feindbildes einherging. „Kommunikation teilt die Welt nicht mit, sondern ein – und das mit besonderer Deutlichkeit im DDR-Fernsehen“, so Wrage abschließend nach einem Ausspruch von Niklas Luhmann.

Schläfer = Virus = Wut = Terror

Das Thema „Heimat und Fremde“ wurde im zweiten Panel, moderatorisch begleitet von Markus Schubert vom ZWF | Medien, unter dem Blickwinkel der Konstruktion und Dekonstruktion betrachtet. Gegenstand der Betrachtung waren nun Filme und Fernsehsendungen, die nach der Zeitenwende 1989/90 entstanden sind.

Zu Beginn fragte Svea Bräunert, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität zu Berlin, nach „Heimat“ als heimlicher bzw. unheimlicher Ort in Christian Petzolds Film Die innere Sicherheit und Volker Schlöndorffs Die Stille nach dem Schuß. Indem Bräunert moderne Architekturformen und spezifische Landschaftsbilder in den RAF-Filmen der Gegenwart als ‚Orte des Terrorismus’ hinsichtlich der Bildung nationaler Identität analysierte, machte sie deutlich, dass derartige Filme den in den 1990er Jahren vorherrschenden Heimatbegriff zu (de-)konstruieren halfen. Unheimliche Orte ganz anderer Art präsentierte Christian Hoffstadt (Universität Karlsruhe, TH) und fokussierte in seinem Vortrag ein Phänomen der vergangenen 25 Jahre: Dystopien zukünftiger Gesellschaftsformen, die im Genre des Horrorfilms die Entwicklung der modernen Gesellschaft kritisch reflektieren. Am Beispiel des dritten Teils der Resident Evil-Reihe eruierte Hoffstadt in dem dargestellten postapokalyptischen Szenario die Heimatlosigkeit einer sinnlos gewordenen Menschheit, die ihrer eigenen Technik und ihres Machbarkeitswahns erlegen ist. Hoffstadt bezeichnet derartige Filme als Endzeitfilme, denn als kritische Mahnmale interpretiert stehen sie für das Negative unserer Gesellschaft. Ein ähnliches Endzeitszenario malte Dr. Birgit Maria Leitner (Bauhaus-Universität Weimar) mit ihren Vortrag zu „Heimat nach 9/11“. Leitner begreift Heimat als Konzept, „das die physische und geistige Versehrtheit, Verortung und Beheimatung von Menschen bzw. menschlichen Körpern gewährleistet“. In ihrem Vortrag kam vor allem die These zum Tragen, dass nach 9/11 „das Zentrum der Auseinandersetzung um die Heimat in der chaotischen medialen Übermittelung und Verbreitung von Informationen zur Durchsetzung von Interessen“ liegt: „Der ‚Krieg der Bilder’ beruht auf der Außerkraftsetzung von Heimat durch die Verbreitung von Angst, der Destabilisierung der Kritikfähigkeit der Massen.“ Auf der anderen Seite können mit Hilfe der Medien, so Leitner, aber auch Gegenstrategien zum Schutz und zur Verteidigung der geistigen und kulturellen Eigenschaften von Heimat entwickelt werden. In den „Möglichkeiten der Medien, Gegenstrategien zur Überwindung der Auslöschung von Heimat hervorzubringen“ sollte der eigentliche Schwerpunkt in Leitners Vortrag liegen. Diesen Punkt zu erörtern wäre für die abschließende Diskussion fruchtbar gewesen, stattdessen debattierte man danach fast zwangsweise über Hintergründe und verschwörungstheoretische Ansätze zu 9/11 und deren Einfluss auf Heimat und Heimatbilder. Der von Leitner gepriesene, aber nicht weiter hinterfragte „Heimatschutz“ mit Hilfe der Medien kann auch zur Schürung von Angst beitragen, z. B. wenn Politiker von einem terroristischen Anschlag mit schmutzigen Nuklearwaffen als der größten Sorge der Sicherheitskräfte sprechen und damit unter dem Deckmantel des „Heimatschutzes“ Eingriffe in die Bürgerrechte zu legitimieren versuchen.

Von „Good Bye Deutschland“ zu „Good Bye Lenin“

Im letzten Panel, das von Dr. Jasper A. Friedrich vom ZWF | Medien moderiert wurde, stand vordergründig die Identitätsbildung in Heimat und Fremde zur Diskussion.

In die Fremde entführte der erste Vortrag von Thomas Waitz (Universität Köln), der anhand von Doku-Soaps wie Goodbye Deutschland! Die Auswanderer oder Mein neues Leben danach fragte, wie Auswanderung und Heimatsuche in der Fremde im Fernsehen heute thematisiert wird. Waitz ist der Meinung, „dass Auswanderung gegenwärtig gerade deshalb eine auffällige mediale Verarbeitung erfährt, weil wir uns in einer Zeit verorten, in der Aufenthaltslosigkeit, Mobilität und Flexibilität gesellschaftliche Leitbilder darstellen“. So verwundert es kaum, dass in derartigen Formaten weniger das Fremde an sich zum Gegenstand der Betrachtung wird, als vielmehr das Eigene. „In der Ferne entdecken sie das Eigene – und damit auch und stets sich selbst“, so Waitz resümierend. Passend zur aktuellen Integrationsdebatte, zuletzt ausgelöst durch die Rede des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan in der Köln-Arena, referierte Jana Domaratius (Universität Leipzig) über „Cultural Diversity Mainstreaming in fiktionalen Ethno-Soaps“ wie Türkisch für Anfänger und Alle lieben Jimmy, in denen das Thema Integration und Assimilierung von in Deutschland lebenden Türken unterhaltend und subtil aufbereitet wird.

Eine Identitätsfindung ganz anderer Art stand im Beitrag von Dr. Caroline Roth, Universitätsassistentin am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Klagenfurt, zur Diskussion. Roth hat sich mit der österreichischen Erfolgsshow Starmania auseinandergesetzt und beschrieb in ihrem Vortrag eindringlich und eloquent, „wie Gefühle der Zugehörigkeit bei der Aneignung von Starmania entstehen und welchen Anteil sie an der Entwicklung sozialer Identität haben“. Hauptschwerpunkt ihrer Analyse stellte dabei das crossmediale Design dar, dessen Rolle sie detailliert bei der Konstruktion von sozialen Identitätsanteilen im Zuge der Medienaneignung erläuterte. Was für einen Beitrag die cineastische „Ostalgie“ der 1990er Jahre bei der Herausbildung einer sogenannten „Heimat Ost“ besaß und besitzt, zeigten abschließend Dr. Peter F.N. Hörz (Fachhochschule Wiesbaden) und Marcus Richter (Otto-Friedrich-Universität Bamberg) auf. Ihren Blick lenkten sie dabei vor allem auf die Rolle von Kinofilmen wie Sonnenallee und Good Bye Lenin und hinterfragten, inwieweit sich solche als Kassenschlager avancierte Filme für die (Re)konstruktion einer „Heimat Ost“ verantwortlich zeichneten. „Denn“, so die These von Hörz und Richter, „selbst wenn diesen Filmen oftmals der Vorwurf gemacht wurde, sie bedienten einseitig die gängigen Klischees und Stereotypen von den Ostdeutschen, hätten aber in Wirklichkeit nichts mit dem eigentlichen Alltag in der ehemaligen DDR zu tun, liefern sie doch genau jene Versatzstücke, aus denen die Heimatentwürfe erst zusammengebastelt werden.“

“Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer”

Bei der sich an die Tagung anschließenden Abendveranstaltung zum Thema „Heimat-Medien – Medien-Heimat“ schloss sich der Kreis zum Ausgangspunkt: Wie haben sich Heimat und Fremde im zwar kollektiven aber zugleich differenten Erfahrungsraum von Ost- und Westdeutschland entwickelt?

Eröffnet wurde die Veranstaltung mit zwei dokumentarischen Kurzfilmprojekten, die parallel an der Universität Leipzig und der Hochschule Bremen in Zusammenarbeit mit Studenten entstanden sind. In beiden Filmen wurde spiegelbildlich versucht zu ergründen, wie Eigenes und Fremdes im ost- und westdeutschen Fernsehen thematisiert und von den Rezipienten wahrgenommen wurde. In der abschließenden Podiumsdiskussion mit Klaus Wilhelm (ehemaliger Redakteur Kennzeichen D), Heiner Westphal und Johannes Strümpfel (beide Protagonisten der Kurzfilme), die von Prof. Dr. Hans-Jörg Stiehler vom ZWF | Medien geleitet wurde, ging es hauptsächlich um Leben und Heimatgefühle in multiplen Gesellschaften, um Sozialisation und den jeweiligen Umgang mit den Medien in der DDR, in der Übergangsgesellschaft 1989/90 und in der Bundesrepublik Deutschland.

Besonders nachhaltige Bedeutung erhält die Tagung nicht zuletzt vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Diskussionen über eine Integration der „Fremden“, den Erhalt der kulturellen Vielfalt und die verstärkten Bemühungen um die Stiftung eines „Wir-Gefühls“. Die Rolle der audio-visuellen Medien in diesem komplexen Prozess der Aneignung und Abgrenzung, im Prozess der „Heimatsuche“ und des „Heimatschutzes“ wird dabei immer bedeutsamer. Bleibt die Frage, ob Heimat heute, im so genannten „nomadischen Informationszeitalter“, mehr ist als ein Effekt des Medialen?

Im Sommer 2008 werden die Vorträge, Diskussionen und Erkenntnisse der Tagung in einem Tagungsband unter dem Titel „Heimat und Fremde. Selbst-, Fremd- und Leitbilder in Film und Fernsehen“ veröffentlicht.

Programmheft

Das Programmheft dieser Konferenz haben wir hier zum Download bereitgestellt.